Wie werden sich junge trans und nicht-binäre Personen der eigenen geschlechtlichen Identität bewusst? Wie leben sie diese in verschiedenen sozialen Kontexten und welche Erfahrungen machen sie damit? Wie blicken sie auf bestimmte soziale, rechtliche und/oder medizinische Transitionsschritte? Mit diesen Fragen hat sich das Deutsche Jugendinstitut in seinem Abschlussbericht zum Projekt "Zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Zur Lebenssituation von trans und nicht-binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland" beschäftigt.
Jungen trans und nicht-binären Menschen eine Stimme geben
Gesellschaftlich sei seit den 1990er-Jahren die Sichtbarkeit geschlechtlicher Vielfalt in der Öffentlichkeit gestiegen und es sei eine zunehmende Akzeptanz gleichgeschlechtlicher sowie transgeschlechtlicher Lebensweisen erkennbar. Gleichzeitig sei die öffentliche Debatte um den gesellschaftlichen Umgang mit nicht-heteronormativen und/oder nicht-cisgeschlechtlichen Lebensweisen insbesondere bei jungen Menschen oftmals kontrovers und teils sehr aufgeladen. Im deutschsprachigen Raum mangele es an Studien zu den Lebenswelten von trans und nicht-binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die Sichtweisen und Erfahrungen der jungen Menschen in den Mittelpunkt stellen. Hier setzte das DJI-Forschungsprojekt "Jung, trans nicht-binär – Zur Lebenssituation von trans und nicht-binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland" an. Die Forschenden führten bundesweit Interviews mit insgesamt 25 jungen trans und nicht-binären Personen zwischen 16 und 29 Jahren durch, um mehr über ihre Lebenssituationen herauszufinden.
Junge Menschen, die trans und nicht-binär sind, haben geschlechtliche Zugehörigkeiten, die nicht dem Geschlecht entsprechen, welches ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde. Sie stünden einerseits vor allgemeinen Herausforderungen des Erwachsenwerdens und seien andererseits mit Marginalisierungen und Nicht-Zugehörigkeiten zu einer vermeintlichen Mehrheitsgesellschaft konfrontiert. Die nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation von trans und nicht-binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Auf Basis von Studienergebnissen stellt die Publikation "Zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Zur Lebenssituation von trans und nicht-binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland" Impulse für Politik, Fachpraxis und viele weitere Interessent*innen zusammen. Diese beträfen unter anderem die Förderung von Aufklärung und Vielfalt an Schulen, die Verbesserung der medizinischen Versorgungslandschaft sowie die Schaffung von inklusiven und zielgruppenorientierten Räumen und (Beratungs-)Angeboten unter anderem in Kontexten der Jugendhilfe.
Vielfalt individueller Bewusstwerdungsprozesse und Transitionswünsche
Die Studienergebnisse zeigen, dass die Bewusstwerdungsprozesse geschlechtlicher Identität bei trans und nicht-binären Jugendlichen sehr unterschiedlich ablaufen. Die interviewten trans und nicht-binären jungen Menschen berichteten von der Suche nach einer positiv besetzten Identität, von Hürden und unterstützenden Faktoren sowie von der Aushandlung gesellschaftlicher Normen in diesen Prozessen. Auch die Wünsche und Erfahrungen in Bezug auf soziale, rechtliche und/oder medizinische Transitionsschritte der trans und nicht-binären jungen Menschen seien vielfältig. In deren Ausgestaltung seien die jungen Menschen in den Interviews reflektiert und würden gesellschaftliche Erwartungen sowie eigene Bedürfnisse abwägen, heißt es im Abschlussbericht.
Alltagserfahrungen und mentale Gesundheit geprägt von Spannungsfeldern
Die interviewten Personen berichteten von Einsamkeit und Scham, von diskriminierenden Erfahrungen in ihrer Familie und anderen sozialen Kontexten, aber auch von Ressourcen, Zugehörigkeiten zu Communitys sowie von den schönen Seiten des Trans-Seins. Der Wunsch, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen, wird in vielen Interviews genauso deutlich wie die Hindernisse, die genau das erschweren.
Die Autor*innen des Abschlussberichts stellen fest, dass die Lebenssituation junger trans und nicht-binärer Personen insgesamt in Spannungsfeldern zu verorten sei. Trans-Sein bedeute immer ein Bewegen zwischen Normativität und Identitätsfindung, Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit, Ausgrenzung und Zugehörigkeit, Pathologisierung und Entpathologisierung sowie zwischen Geschlechtsdysphorie und -euphorie.
Der Abschlussbericht steht hier zur Verfügung.
Quelle: DJI vom 3. Juli 2024