Position
Home > Eigenständige JugendpolitikAGJ zum Umgang mit Rechtsextremismus und -populismus

(07.10.2024) Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ unterstreicht in ihrer Position das demokratische, inklusive Selbstverständnis der Kinder- und Jugendhilfe und verhält sich zum Umgang mit demokratie- und menschenfeindlichen Einstellungen. 

Hände halten einander Hände halten einander
Foto: G. Altmann vi pixabay.com

Demokratie unter Druck

Die Demokratie gerät aktuell in Europa und weltweit immer stärker unter Druck, populistische und extremistische Akteure rütteln mehr denn je an den Grundfesten der freiheitlichdemokratischen Gesellschaft. Angesichts sich beschleunigender, überlagernder Krisen, immer komplexer werdender gesellschaftlicher Strukturen und sozialer, kultureller sowie ökonomischer Wirkzusammenhänge macht sich bei nicht Wenigen ein Gefühl der Zukunftsunsicherheit breit. Die Erzählung, dass die derzeit gelebte Demokratie nicht in der Lage sei, politisch adäquat und sozial gerecht auf diese Krisen zu reagieren, hat an Zuspruch gewonnen. Diese Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung sei zu lange politisch nicht wahrgenommen und aufgegriffen worden, sodass sie sich verfestigen konnte. Sie ist Nährboden für den Aufstieg populistischer und extremistischer Akteure jeglicher Couleur, die einfache Antworten vorgaukeln und klare Identifikationsangebote machen. Hauptsächlicher Katalysator und größter Profiteur dieser Entwicklung ist die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD).

Die Kinder- und Jugendhilfe: selbstverständlich demokratisch und inklusiv!

Vor diesem Hintergrund unterstreicht die AGJ das einer demokratischen und inklusiven Gesellschaft verpflichtete Selbstverständnis der Kinder- und Jugendhilfe. Die fachliche und rechtliche Richtschnur bilden das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII), das Grundgesetz, die UNKinderrechtskonvention (UN-KRK) und auch die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Die Kinder- und Jugendhilfe habe den Auftrag, positive Lebensbedingungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu schaffen und zu erhalten. Sie setzt sich jugend- und sozialpolitisch auf allen föderalen Ebenen für die Belange, Rechte und Anliegen junger Menschen und ihrer Familien ein. Sie unterscheidet dabei nicht in unterschiedliche Gruppen, sondern würdigt mit dem von der Kinder- und Jugendhilfe vertretenen inklusiven Leitbild Vielfalt als Bereicherung. Daher engagiert sich die Kinder- und Jugendhilfe dafür, dass die Diversität junger Menschen und ihrer Familien anerkannt, ihre Gleichberechtigung gefördert und ihre Teilhabe gestärkt wird. Das Menschen- und Gesellschaftsbild der Kinder- und Jugendhilfe ist unvereinbar mit jedweder Form von Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Allerdings gelingt es nicht immer und überall, dieses Selbstverständnis mit Leben zu füllen. Auch Kinder- und Jugendhilfe ist nicht frei von (institutionellem) Rassismus oder anderen Formen der Diskriminierung. Ihr Anspruch und ihre Verpflichtung sei es aber, die eigenen Strukturen und Funktionslogiken beständig kritisch zu überprüfen und inklusiv weiterzuentwickeln.

AGJ-Handlungsempfehlungen zum Umgang mit rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Positionen

  • Werte kennen und Haltung zeigen: Das Wichtigste im Umgang mit rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Positionen sei die professionelle Haltung der Fachkräfte und der Träger: Für welche Werte stehe ich/stehen wir, für welche Gesellschaft setze ich mich, setzen wir uns ein? Dies sollte stets offensiv nach außen vertreten werden, statt sich an den antidemokratischen Akteuren und deren Themen abzuarbeiten.
  • Wissen aneignen: Um der Normalisierung rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Denk- und Sprechmuster entgegenzuwirken, müsse der Blick für deren treibende Kräfte im eigenen Umfeld geschärft werden: Wer ist aktiv? Gibt es Netzwerke? Wie agieren sie? Wie argumentieren sie? Welche Inhalte vertreten sie? Was sind ihre Strategien? 
  • Diskursräume schaffen, Demokratie- und Menschenfeindlichkeit entgegentreten: Es brauche eine gesellschaftspolitische Debatte über die Frage, wie wir miteinander leben wollen – und zwar über Milieus, Regionen, Parteigrenzen hinweg. Die Kinder- und Jugendhilfe könne und müsse Diskursorte schaffen, die für junge Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen offenstehen und in denen sie Beteiligung und Selbstwirksamkeit erleben. Partizipationsprozesse müssen aktiver angestoßen werden, aber auch langfristig erhalten bleiben. Demokratie- und menschenfeindlich Positionierenden dürfe keine Bühne geboten werden. Dabei gelte es, im Spannungsfeld zwischen Neutralitätsgebot und Hausrecht sicher zu navigieren. Dazu gehöre auch, zu verstehen, für wen ein staatliches Neutralitätsgebot überhaupt besteht und wo es instrumentalisiert wird.
  • Strategien der Einschüchterung erkennen: Um den Einschüchterungsversuchen wirksam zu begegnen, sei es wichtig, eine offene Diskussionskultur innerhalb der Strukturen und Organisationen zu fördern, in der über Ängste und Drucksituationen gesprochen werden kann. Eine weitere Strategie bestehe darin, rechtliche und fachliche Beratung frühzeitig einzuholen, um auf Drohungen und Angriffe professionell reagieren zu können. Schließlich sollte ein klares, auf Menschenrechten und demokratischen Werten basierendes Profil in allen Kommunikationskanälen bewahrt werden, um den eigenen Standpunkt deutlich zu machen und sich nicht von antidemokratischen Kräften beeinflussen zu lassen. Öffentlichkeitsarbeit, die Angriffe transparent macht und eine breite gesellschaftliche Solidarität mobilisiert, könne ebenfalls ein starkes Mittel gegen solche Taktiken sein.
  • Mechanismen der Selbstzensur begegnen: Auch die eigenen Mechanismen der Selbstzensur und deren Wirkungen müssen sich bewusst gemacht werden: Wenn auf die Einschüchterungsversuche reagiert werde, indem in Projektanträgen, Veranstaltungsprogrammen, Rede- oder Social-Media-Beiträgen auf die Nennung eigentlich zentraler, aber rechtsextrem motivierte Akteure womöglich auf den Plan rufender Begriffe (wie Vielfalt/Diversität, Inklusion, LGBTIQ+, Rassismus, Rechtsextremismus etc.) verzichtet wird, dann entstehe eine Form von Selbstzensur, die die inhaltliche Klarheit und Integrität der Arbeit untergrabe.
  • Präsent und kompetent sein im digitalen Raum: Akteure der Kinder- und Jugendhilfe müssten präsent und kompetent sein im digitalen Raum, hier Informationen teilen und ihre demokratischen Werte vertreten. Politische Informiertheit und Medienkompetenz seien Voraussetzung dafür, gut mit Adressat*innen in den Austausch zu gehen und rechten Mobilisierungskampagnen im Netz eine andere Form des digitalen Diskurses entgegenzusetzen.
  • Netzwerke stärken und sich mit Angefeindeten solidarisieren: Wenn es zu diskriminierenden und menschenverachtenden Anfeindungen kommt, sei Solidarisierung das oberste Gebot, sowohl auf der individuellen als auch auf der organisationalen Ebene. Unterstützung könne gezeigt werden, indem man sich mit betroffenen Personen gegen Anfeindungen verbündet, sowohl mit direktem Zuspruch als auch mit öffentlichen Statements.

Die AGJ-Leitlinien stehen hier als PDF in voller Länge zur Verfügung.

Quelle: AGJ vom 04.10.2024