Absenkung des Wahlalters bei Europawahlen auf 16 Jahre
In der Begründung zum Gesetzesentwurf schreiben die Koalitionsfraktionen, dass das derzeitige Mindestwahlalter für das aktive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europaparlament Menschen vom Wahlrecht ausschließe, „die an zahlreichen Stellen in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen und sich in den politischen Prozess einbringen können und wollen“.
Gerade die junge Generation werde durch Fragen betroffen sein, die aktuell Gegenstand demokratischer Entscheidungsprozesse sind. Themen wie beispielsweise der Schutz des Klimas, die Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme angesichts des demographischen Wandels, die Prioritätensetzung bei öffentlichen Investitionen und die Regulierung des Internets sowie die hierzu getroffenen Entscheidungen gestalteten die Zukunft nachhaltig und hätten damit Wirkung weit über Legislaturperioden hinaus.
Wie die drei Fraktionen weiter ausführten, habe sich die Altersverteilung der Wahlberechtigten in den vergangenen 50 Jahren zu Lasten der Jüngeren verschoben. Die vorgesehene Absenkung des Wahlalters entspräche der Vorlage zufolge zudem der Entwicklung auf europäischer Ebene.
Politisches Interesse junger Menschen
Dass bereits 16-Jährige über eine ausreichende Urteils- und Einsichtsfähigkeit in ihrem persönlichen Handeln verfügen, zeigten zahlreiche Studien, auf die sich der Gesetzgeber zur Begründung einer Herabsetzung des Wahlalters stützen könne, sagte Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Professorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Kassel. Poltisches Interesse und Engagement der Jugendlichen seien zudem in den letzten Jahren stetig gewachsen. Es bestehe daher „kein zwingender Grund mehr“, 16- bis 18-Jährige von der Ausübung des aktiven Wahlrechts auszuschließen. Einer Änderung des Europawahlgesetzes stünden „keine verfassungsrechtlichen Argumente“ entgegen.
Auch Prof. Dr. Thorsten Faas, Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, spricht sich für eine Wahlalterabsenkung aus. Man habe aktuell schon kein einheitliches Wahlalter mehr bei Kommunal- und Landtagswahlen in Deutschland. Politisches Interesse und Wissen in dieser Altersgruppe seien genauso hoch wie bei den Jahrgängen darüber. Die Wahlbeteiligung bei den 16- bis 18-Jährigen liege sogar über der der 20- bis 24-Jährigen. Man solle die Chance nutzen, junge Menschen früh für das Thema Wahlen zu sensibilisieren und zu motivieren. „Aus politikwissenschaftlicher Sicht spricht wenig gegen eine Absenkung des Wahlalters.“
Lebenserfahrung und persönliche Reife
Prof. Dr. Bernd Grzeszick, Professor am Institut für Staatsrecht, Verfassungslehre und Rechtsphilosophie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg argumentierte dagegen, dass Jugendliche mit 16 Jahren noch nicht über die entsprechende persönliche Reife verfügen würden. Daneben müsse eine Herabsetzung des Wahlalters auch eine Verschiebung der Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht nach sich ziehen. Auch Prof. Dr. Eckart Klein, ehemals Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Völker- und Europarecht an der Universität Potsdam, sprach sich gegen die Wahlalterabsenkung aus mit der Begründung, dass es nicht gesichert sei, dass junge Menschen mit 16 Jahren in der Lage seien, entscheidende Fragen in einen Gesamtzusammenhang zu bringen.
Prof. Dr. Stefanie Schmahl, Professorin für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, fragte sich, ob mit dem Gesetzesentwurf nicht der Weg gebahnt werden solle für eine Absenkung des Wahlalters auch bei Bundestagswahlen sowie die Volljährigkeitsgrenze in Frage zu stellen.
Demgegenüber argumentierte Prof. Dr. Jule Specht, Professorin am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität Berlin, dass die heutigen Jugendlichen über bessere kognitive Fähigkeiten verfügen würden als frühere Generationen. Aus psychologischer Sicht lägen „keine stichhaltigen Argumente“ vor, die im Gesetzentwurf genannte Altersgruppe auszuschließen.
Auch der Deutsche Bundesjugendring war bei der Anhörung vertreten und setzte sich für eine Wahlaltersenkung ein. Wendelin Haag unterstrich, wie zukunfstweisend die Umsetzung wäre. Zur DBJR Position.
Quelle: Deutscher Bundestag, 10. Oktober 2022 - die Anhörung ist online verfügbar.