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Migrationspolitik ist Jugendpolitik
In seinem Positionspapier führt der DBJR aus, dass mehr als ein Drittel aller jungen Menschen in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt einen Migrationshintergrund habe. Je jünger die Altersgruppe, desto höher sei der Anteil. Als selbstorganisierte Interessensvertretungen junger Menschen in Deutschland sei Migration daher für Jugendverbände und Jugendringe ein Querschnittsthema für ihre jugendpolitische Arbeit.
Anerkennung, Beteiligung und Förderung von Jugendverbänden als Akteure der Migrationspolitik
Im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik habe sich die Konsultation zivilgesellschaftlicher Organisationen wie beispielsweise (post)migrantische, neue deutsche und Migrant*innenselbstorganisationen sowie Zusammenschlüsse von BIPoC zunehmend etabliert. Selbstorganisierte Jugendorganisationen seien hier jedoch noch immer unterrepräsentiert. Angesichts demografischer Entwicklungen müssten Jugendverbände, vor allem solche die sich explizit als Migrant*innenjugendselbstorganisationen, (post)migrantische bzw. neue deutsche Jugendorganisationen oder als Zusammenschlüsse von BIPoC verstehen, noch viel mehr als bisher als Akteure der Migrationspolitik anerkannt und entsprechend einbezogen sowie finanziell gefördert werden.
Auf Bundesebene würden seit 2013 an ausgewählte Organisationen finanzielle Mittel aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie dem Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI) für die Strukturentwicklung fließen. Hier brauche es eine vergleichbare, im Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) sowie in den entsprechenden Förderinstrumenten auf Landes- und kommunaler Ebene verankerte finanzielle Förderung sowie begleitende Unterstützungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Ziel sei hier die Etablierung einer bundesweiten Infrastruktur, besonders in strukturschwachen Regionen und den neuen Bundesländern, um die Rolle als Interessenvertretung effektiv wahrnehmen zu können.
Ausweitung des Wahlrechts
In Deutschland seien auf Bundesebene über 12 % der Bevölkerung – das heißt über 10 Millionen Menschen – nicht wahlberechtigt, weil sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Selbst in Deutschland lebende EU-Bürger*innen dürfen nur an Kommunal- und Europawahlen teilnehmen. Allen anderen Drittstaatsangehörigen – also fast 6 Millionen Menschen ohne Staatsbürgerschaft eines EU-Landes – sei jegliche demokratische Mitbestimmung versagt. Im europäischen Vergleich sei Deutschland damit bei der Gewährung des Wahlrechts besonders streng. Jugendverbände und Jugendringe fordern bereits seit Längerem die Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre. Daher spricht sich der DBJR für die Aufhebung der Verknüpfung der Staatsangehörigkeit mit dem Wahlrecht aus, da jede Person, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt hat, auch Einfluss auf ihr Lebensumfeld haben müsse.
Modernisierung des Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrechts
Viele junge Menschen, die in Deutschland geboren sind, ihre ganze oder große Teile ihrer Kindheit und Jugend hier verbracht haben und keinen anderen Lebensmittelpunkt kennen, besitzen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Der DBJR spricht sich gegen Entrechtungsgesetze, Sanktionsmaßnahmen und jahrelange Rechtsunsicherheiten aus, die junge Menschen und ihre Familien belasten oder sogar voneinander getrennt halten würden. Gleichzeitig müsse eine schnelle und einfache Einbürgerung möglich sein sowie bisherige Staatsangehörigkeiten beibehalten werden dürfen. Dazu bedürfe es einer grunsätzlichen Reformierung und Modernisierung der rechtlichen Grundlagen, Voraussetzungen und Verfahren sowie der vollumfänglichen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention und ihrer Verankerung im Grundgesetz.
Bekämpfung struktureller Diskriminierung
Die Zahl der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen wachse seit Jahren kontinuierlich an, obwohl der Anteil dieser Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung gleichbleibend niedrig sei. Besonders betroffen seien junge Menschen in der Altersgruppe von 18 Jahren bis Mitte 20, also in der Lebensphase, die von systemischen Übergängen in Ausbildung, Studium oder Beruf geprägt ist. Insbesondere junge Menschen mit Migrationsbiografie seien in ihrer sozial-ökonomischen Teilhabe zusätzlich benachteiligt, weil sie beispielsweise am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt oder durch Behörden struktureller Diskriminierung ausgesetzt sind. Es seien daher wirksame Antidiskriminierungsgesetze auf allen politischen Ebenen notwendig, die gegenüber staatlichen Institutionen und der Privatwirtschaft konsequent umgesetzt sowie effektiv eingefordert werden können.
Mehrsprachigkeit junger Menschen als Normalität anerkennen und als Kompetenz fördern
Immer mehr junge Menschen in Deutschland würden mehrsprachig aufwachsen und die Erfahrung machen, dass ihre Mehrsprachigkeit als Defizit gelabelt und primär als Herausforderung für künftige Bildungserfolge gesehen wird. Das gelte vor allem, wenn es sich bei den Familiensprachen um nicht-westeuropäische Sprachen handelt. Diese Stigmatisierung von Sprachen sei diskriminierend und wirke sich negativ auf das Selbstbild junger Menschen aus.
In allen gesellschaftlichen Bereichen müsse Mehrsprachigkeit als Normalität und Kompetenz anerkannt werden. Bei Bedarf müssten in diesen Kontexten professionelle Dolmetscher*innen oder Sprachmittler*innen bereitgestellt werden. Besonders im von den Bundesländern verantworteten Bildungswesen müsse Mehrsprachigkeit fester Teil der Bildungskonzepte sein und herkunftssprachlicher Unterricht flächendeckend angeboten werden, damit junge Menschen ihre Sprachkompetenzen vollumfänglich ausbilden können (Multiliteralität).
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Der Jugend ihren Raum geben
Neben der Position zu Migrationspolitik hat der DBJR auch ein Papier zur Lebensphase Jugend verabschiedet. Die eigenständige Lebensphase mit ihren spezifischen Herausforderungen fordere Jugendliche und junge Menschen in ihrer individuellen Vielfalt. Gleichzeitig beeinflussen ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungen sowie globale Krisen die Lebensphase Jugend enorm. Die Aufgabe der Gesellschaft und Politik sei es daher, Jugendliche und junge Menschen in ihrer Rolle als gesellschaftlich handelnde Akteure ernst zu nehmen, zu stärken und – mit ihnen zusammen – einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, um mit den vielfältigen Veränderungen und Einflüssen umgehen zu können.
Bedeutung der Jugendphase anerkennen
Jugend sei auch die entscheidende Lebensphase, in der erstmals eigenständig Entscheidungen für die eigene Zukunft getroffen, bestehende Verhältnisse hinterfragt und teilweise abgelehnt sowie Beziehungen verändert werden. Zum objektiven Bild von jungen Menschen gehöre auch und als Erstes die Erkenntnis, dass es „die“ Jugend nicht gibt. Ebenso unterschiedlich wie individuelle Lebensentwürfe seien strukturell bestimmte Möglichkeiten und Chancen. In dieser Hinsicht seien unter anderem pflegende Kinder und Jugendliche (Young Carer*innen), Careleaver*innen, junge Menschen als Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften oder auch geflüchtete junge Menschen und solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus in ihrer Entfaltung besonders beschränkt.
Um sinnvolle und zielgerichtete Politik für und mit jungen Menschen zu machen, müssten diese Diversitäten anerkannt werden sowie gleichzeitig der spezielle Bedarf, der aus der besonderen Lebensphase entstehe, berücksichtigt werden. Gleichzeitig müssten Rechte auf Beteiligung, Schutz und Förderung verwirklicht werden. Hierzu brauche es eine bedarfsgerechte Infrastruktur in den Bereichen Bildung und Mobilität sowie ausreichend Raum, den sie gestalten können. Es sei die Aufgabe des Staates, dies alles finanziell abzusichern.
Aufgabe der Gesellschaft
Die Gesellschaft müsse sich vor allem den vielfältigen Perspektiven von jungen Menschen zu öffnen und daraus entsprechende Handlungen ableiten. Zentral sei es dabei, junge Menschen zu befähigen, ihre Persönlichkeitsentwicklung gestalten zu können und soziale Teilhabe zu ermöglichen. Dabei brauche der Blick auf Jugend aber eine Perspektive, die über einseitige, formale Qualifizierungsprozesse bzw. die möglichst schnelle Befähigung zur Erwerbsarbeit hinausgeht. Daneben müsse auch das Mindestwahlalter gesenkt werden, um jungen Menschen mehr Gewicht in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und in der Artikulation ihrer Interessen zu geben.
Diese und weitere auf der Vollversammlung beschlossene Positionen sind auf der Website des Deutschen Bundesjugendrings nachzulesen. Der DBJR hat sich unter anderem auch zu Themen wie den Auswirkungen der Energiekrise im Zusammenhang mit der Energiewende oder auch Inklusion positioniert. Die Vollversammlung tagt einmal jährlich, um Arbeitsschwerpunkte festzulegen und jugendpolitische Positionen zu beschließen.
Quelle: Deutscher Bundesjugendring, 29.10.2022