"Diese Jugend"... und Corona
Notizen zum Vortrag von Felicitas Richter (Sinus-Akademie):
Die SINUS-Jugendstudie "Wie ticken Jugendliche?" untersucht alle vier Jahre die Lebenswelten 14- bis 17-jähriger Jugendlicher in Deutschland. Sie ist eine qualitativ-empirische Bestandsaufnahme der soziokulturellen Verfassung junger Menschen, wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj), der BARMER, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), dem Deutschen Fußballbund (DFB), der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), der Deutschen Sportjugend (dsj) und der DFL-Stiftung in Auftrag gegeben und vom SINUS Institut in Heidelberg/Berlin durchgeführt.
Die Fragestellungen der Studie 2019/2020 waren: Welche Themen sind Jugendlichen wichtig? Wie blicken junge Menschen in die Zukunft? Ergänzend widmet sich das SINUS-Institut in einem Sonderkapitel, das auf Zusatzbefragungen im ersten Lockdown (Frühjahr 2020) basiert, dem Leben der jungen Menschen im Rahmen der Corona-Krise. Das Thema Corona ist auch deshalb so wichtig für die Befragung, weil junge Menschen anders betroffen zu sein scheinen als ältere: Sie sind weniger gesundheitlich gefährdet und gleichzeitig stärker in der Lebensgestaltung eingeschränkt.
Wie kommen Jugendliche in der Ausnahmesituation zurecht?
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Jugend auf die Corona-Krise verständnis- und rücksichtsvoll reagiert. Sorgen machen sich die jungen Menschen trotzdem. Ernsthaftigkeit, Angst und Unsicherheiten treten deutlicher zu Tage. Das betrifft den Umgang mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie und der globalen Klimakrise, die sie als eine offensichtliche Bedrohung wahrnehmen. Bei beiden Themen und im Allgemeinen fühlen sich junge Menschen nicht ernst genommen und repräsentiert. Der Zukunftsoptimismus der Jugendlichen ist gedämpft, insbesondere in den Lebenswelten, die die SINUS-Jugendstudie als bildungsfern beschreibt. Das Sonderkapitel über Corona widmet sich den folgenden Themen:
- Wahrnehmung der Corona-Krise
- Zukunft nach Corona
- Gesundheit in Zeiten von Corona
- Informationsbedarf und Mediennutzung
- Rolle der Politik in der Krise
- Solidarität in der Gesellschaft
Jugend in der Corona-Krise: In ihren Freiheiten eingeschränkt, aber mitfühlend und verantwortungsbewusst
Mit dem Begriff „Corona“ werden bei den Jugendlichen vor allem negative Aspekte assoziiert – besonders die Einschränkung der persönlichen Freiheit und die Gesundheitsgefahren dominieren. Solidarität mit anderen spielt in der Corona-Krise eine zentrale Rolle. Denn die befragten Jugendlichen haben zwar wenig Angst davor, sich selbst mit dem Virus zu infizieren, befürchten aber, andere Menschen anzustecken (Ältere, Großeltern etc.). Die meisten sehen es als ihre soziale und gesundheitliche Verantwortung, die Krise ernst zu nehmen und sich um ihre Mitmenschen zu sorgen. Die Einschränkungen der persönlichen Freiheit und das reduzierte Freizeitangebot nerven zwar viele Jugendliche, sie erkennen jedoch die Notwendigkeit, sich damit zu arrangieren. Sie akzeptieren sowohl Ausgangsbeschränkungen als auch Veranstaltungsverbote, die Maskenpflicht und Geschäftsschließung. Geringere Akzeptanz gibt es gegenüber der erhöhten Polizeipräsenz und -kontrollen sowie gegenüber Kontaktverboten, unter denen die jungen Menschen am meisten leiden.
Nahezu alle Jugendlichen rechnen damit, dass sie sich langfristig an neue Hygienemaßnahmen gewöhnen müssen und sich Schulalltag sowie ihre Möglichkeiten der Freizeitgestaltung verändern werden. Sie sehen die Krise zwar als vorübergehend, erwarten aber langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft: unter anderem befürchten sie, die Bevölkerung könnte sich spalten.
Zur Informationsbeschaffung in Zeiten von Corona vertrauen Jugendliche am ehesten auf öffentlich-rechtliche Nachrichten, welche sowohl die meistgenutzte wie auch vertrauenswürdigste Quelle für junge Menschen darstellen. Weniger vertraut wird den Informationen aus Sozialen Netzwerken.
Der Politik stellen die Jugendlichen in der Krise ein gutes Zeugnis aus. Sie vertrauen den Akteur*innen und sehen die veranlassten Maßnahmen als nachvollziehbar und verhältnismäßig an. Kritisiert wird allerdings die nach Meinung der Jugendlichen verfrühte Wiedereröffnung der Schulen und dass die Chance verpasst wurde, in dieser Debatte das Vertrauen der Jugend zu gewinnen, indem man sie zu Wort hätte kommen lassen. Junge Menschen beklagen fehlende Mitwirkungsmöglichkeiten an politischen Entscheidungsprozessen und die mangelnde Repräsentation im politischen Raum. Dies gilt sowohl für den Umgang mit der Klimakrise als auch für Entscheidungen, die im Rahmen der Corona-Pandemie getroffen wurden. Aus Jugendsicht wird Politik in erster Linie von „alten weißen Männern“ dominiert und geprägt. Pauschales Politikerbashing ist dennoch selten. Politische Akteur*innen und Institutionen werden differenziert beurteilt. Viele Jugendliche zeigen Verständnis und Empathie für Politiker und Politikerinnen, die einen „harten, stressigen Job“ machen.
Hier kann die Studie bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden.
Beitrag aus der Online-Veranstaltung "Treffpunkt Jugendpolitik" vom 14.12.2020