Der unabhängigen Jugendberichtskommission gehören insgesamt 14 Sachverständige an. Sie haben Ihren Blick auf den außerschulischen Bereich der Jugendbildung in die Arbeit am 16. Kinder- und Jugendbericht eingebracht. Der Bericht bescheinigt große Defizite und stellt zugleich konstruktive Kritik und Lösungsvorschläge für die politische Bildung in verschiedenen Bereichen vor. So wird neben einer Senkung des Wahlalters auch gefordert, in Schulen politische Bildung verpflichtend einzuführen.
Was ist für Sie persönlich die zukunftsweisendste Feststellung des Berichts?
Zukunftsweisend ist für mich schon der Berichtsauftrag: „Demokratische Bildung im Kindes- und Jugendalter“. Es hat mich gefreut, dass die politische Bildung damit (endlich) ins Zentrum der fachlichen und politischen Aufmerksamkeit gerückt wird. Zudem gibt es einige Feststellungen im Bericht, über die wir hoffentlich noch diskutieren werden. Ich greife drei heraus:
1) Politische Jugendbildung ist getragen von Fachverbänden und Einrichtungen wie Bildungsstätten. Sie findet darüber hinaus auch im Sport, in der Kultur, in der Sozialarbeit oder den Jugendverbänden statt. Das ist großartig und zeigt ihre Bedeutung, der Bericht weist aber auch nach, dass der Fachaustausch zwischen den Bereichen nicht existiert – eine eindeutige Zukunftsaufgabe!
2) Organisationen von jungen Menschen mit Migrationsbiografien, People of Color oder postmigrantische Akteure sind ebenfalls Anbieter von vielfältigen politischen Bildungsangeboten, die im Sinne der Stärkung einer pluralen Gesellschaft anerkannt, förderrechtlich ermöglicht und in ihrer Struktur und Reichweite ausgebaut werden müssen.
3) Der Bericht erteilt der Forderung nach einer „Neutralität“ der politischen Bildung eine deutliche Absage. Er stellt aber auch fest, dass sich die Akteure der politischen Bildung deutlicher positionieren und über die Grundlagen und normativen Rahmungen ihrer Arbeit verständigen müssen. Die Argumente sollten geschärft und die solidarische Vernetzung vorangetrieben werden.
Angesichts der zu beobachtenden populistischen Tendenzen steigt die Erwartung an die politische Bildung, demokratische Werte zu fördern. Wie können die Akteur*innen im Feld der außerschulischen Bildung diesen Entwicklungen begegnen?
Die Akteure sollten selbstbewusst, aufbauend auf den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen, die politische Bildung in allen Feldern der Jugendarbeit weiterentwickeln und qualifizieren. Der Bericht hat herausgearbeitet, dass sich politische Bildung an demokratischen Grundwerten wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gleichheit, Frieden, Solidarität, Emanzipation und Freiheit orientiert. Die demokratischen Grundwerte, die Menschenrechte und ihre grundrechtlichen Konkretisierungen bilden die normative Orientierung. Damit positioniert sich die Politische Bildung eindeutig gegen menschenfeindliche Haltungen, Ideologien der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit oder antidemokratische Einstellungen.
Um ihren Wirkungsgrad zu erhöhen, sind die Akteure gefordert, ihre Reichweite zu vergrößern und kritisch zu hinterfragen, ob die Angebote politischer Bildung so beschaffen sind, potenziell alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Dazu gehört es unbedingt auch, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt in den Themen und den Formaten, in der Auswahl der Kooperationspartner*innen und der Zusammensetzung der Teamer*innen widerspiegelt. Unterstützend für die Träger politischer Bildung würde sich eine bessere wissenschaftliche Forschung z.B. zu den Teilnehmenden der Angebote auswirken.
Politische Partizipation wird oftmals mit der politischen Bildung in einen Zusammenhang gebracht. Wie schätzen Sie dieses Verhältnis ein und was meint der Jugendbericht dazu?
Wir haben im Bericht formuliert, dass Politische Bildung und politische Partizipation in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen. Einerseits motiviert die Beteiligung an politischen Aktivitäten zur politischen Bildung. Anderseits erweitert politische Bildung das Repertoire möglichen politischen Handelns. Politische Bildung lebt von echten Partizipationserfahrungen, wobei die Betonung auf „echten“ liegt. Beteiligung lässt sich nicht simulieren. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Angebote, in denen sie wertgeschätzt werden und die sie ernsthaft mitgestalten können, also eine „Mitwirkung mit Wirkung“.
Mir ist es aber auch wichtig deutlich zu machen, dass Politische Bildung mehr ist als Partizipation. Sie ist eine notwendige, aber noch keine ausreichende Voraussetzung für politische Bildungsprozesse. Die Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche in Beteiligungsprozessen machen, müssen notwendigerweise reflektiert werden: Welche Lernmöglichkeiten zur Ausbildung der politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit bieten sie, um Jugendliche zu befähigen, ihre demokratischen Rechte in der Gesellschaft wahrzunehmen?
Bildung ist eine Kernherausforderung der Lebensphase Jugend und ist auch in der Jugendstrategie der Bundesregierung als ein Handlungsfeld verankert – (wie) wird im Jugendbericht Bildung als jugendpolitisches Handlungsfeld diskutiert?
Der Jugendbericht spricht sich ganz klar dafür aus, dass Politische Bildung integraler Bestandteil einer jeden Jugendpolitik sein muss - in den Kommunen, auf Länderebene und selbstverständlich auch auf Bundesebene. Dabei ist es die Aufgabe aller politischen Akteure, die Träger, Organisationen und Initiativen politischer Bildung, die den Werten der Demokratie verpflichtet sind, auszubauen und zu stärken, gerade auch angesichts der großen Herausforderungen, die der Bericht als „Megatrends“ im Einleitungskapitel nennt.
Zugleich liegt die politische Bildung von Kindern und Jugendlichen aber nicht allein in der Verantwortung der Jugendpolitik. Sie ist auch in anderen, weiteren Politikbereichen verortet, da es, dies hat der Bericht ja hervorgehoben, viele soziale Räume gibt, in denen sich junge Menschen politisch bilden (können): in der Familie, in den Medien, in der Schule, in der Bundeswehr, in sozialen Bewegungen - um nur einige zu nennen. Mit der Einrichtung der interministeriellen Arbeitsgruppe Jugendpolitik besteht nun erstmals die Chance, zentrale Themen der Jugendpolitik und damit auch der politischen Bildung als Querschnittsaufgabe der Ressorts auf Bundesebene umzusetzen. Im Rahmen der Jugendstrategie der Bundesregierung wurde mit dem Handlungsfeld „Beteiligung, Engagement und Demokratie“ hierfür eine wichtige Voraussetzung geschaffen.
Zur Person
Ina Bielenberg ist seit 2007 Geschäftsführerin des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten (AdB) mit Sitz in Berlin. Der AdB ist ein Fachverband der außerschulischen politischen Bildung mit bundesweit über einhundert Mitgliedseinrichtungen. Ina Bielenberg ist Mitglied und stellvertretende Vorsitzende der Sachverständigenkommission zur Erstellung des 16. Kinder- und Jugendberichts.