Die Kampagne „Perspektive Jugend“ rückt die Interessen Jugendlicher in den Blick von Landespolitik. Was ist konkret geplant und welche Erwartungen gibt es an die Landesregierung?
Unsere Erwartungen gehen in erster Linie an den Landtag, der am 14.3. neu gewählt wird und erst danach an die neue Landesregierung. Wir fordern eine jugendpolitische Wende: Das Thema Jugendpolitik soll aus ihrer Nische innerhalb der Sozialpolitik ins Zentrum des politischen Geschehens in Landtag und Regierung geholt werden.
Eine Jugendstrategie für Baden-Württemberg – welche Ziele sollte sie verfolgen und wie sollte sie entwickelt werden?
Die Jugendstrategie soll sozusagen das neue Betriebssystem zur Verhandlung jugendpolitischer Vorhaben sein. Konkret wollen wir zum Start eine Enquetekommission „Jugendbeteiligung & Jugendengagement nach Corona“ sowie eine Kabinettsausschuss Jugend, dem die oder der neue Ministerpräsident*in und alle Kabinettsmitglieder mit einer Jugendzuständigkeit angehören. Auf diese Weise würde Jugendpolitik auf die richtige Ebene gehoben. Analog zum bundesweiten Jugendcheck fordern wir einen Jugendcheck BW.
Unter der Überschrift „Jugend beteiligen“ fordern wir die Absenkung des aktiven und passiven Wahlalters auf allen Ebenen, als pragmatischen nächsten Schritt auf 16 Jahre. Wir wollen dass das Land nach der verbindlichen Jugendbeteiligung, die wir seit 2015 in der Gemeindeordnung festgeschrieben haben, auch auf Landesebene eine verbindliche Jugendbeteiligung einführt. Außerdem gilt es, Qualität, Umfang und Häufigkeit der kommunalen Jugendbeteiligung im ganzen Land weiter zu heben.
„Jugend ernst nehmen“ ist unsere Kampagnen-Überschrift zum Themenbereich Ehrenamt. Freiräume für ehrenamtliches Engagement müssen durch die Verbesserung der Freistellungsmöglichkeiten und durch landeseinheitliche prüfungsfreie vier Wochen an allen Hochschulen zu Beginn der Schulsommerferien ausgebaut werden. Außerdem gilt es, die Anerkennung von ehrenamtlichem Engagement in Studien- und Ausbildungsordnungen ganz handfest zu verankern sowie die Anerkennung der Juleica zu steigern.
Bei unserem dritten Kampagnen-Schwerpunkt „Jugend unterstützen“ geht es um die zeitgemäße finanzielle Förderung der Kinder- und Jugendarbeit. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan, aber es gibt noch ein paar Dinge zu erledigen. Außerdem müssen wir im Land die Diskussion führen, wie die Landkreise und Städte flächendeckend ihrer Förderverpflichtung nach SGB VIII nachkommen und kommunale Jugendringe gut und auskömmlich ausstatten. Kinder- und Jugendarbeit muss als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge überall gut finanziert sein.
Wie werden junge Menschen an der Kampagne beteiligt und/oder welche Beteiligungsformate gäbe es für sie in der Ausgestaltung der Jugendstrategie?
Wir haben mit unserer Kampagne „Perspektive Jugend“ alle Jugendverbände und Jugendringe im Land dazu aufgerufen, jetzt im Wahlkampf ganz aktiv in Gespräche mit Kandidat*innen zum nächsten Landtag zu gehen und unter den sehr offen gehaltenen Überschriften unserer Kampagne ihre konkreten Anliegen einzubringen. Trotz Corona beteiligen sich glücklicherweise viele junge Menschen vor Ort mit verschiedenen, vor allem digitalen Veranstaltungen. Wie genau wir uns als Jugendverbände und wie sich junge Menschen an der Ausgestaltung der Jugendstrategie beteiligen können, wird an der neuen Regierungskoalition liegen und wie ernst ihr das Anliegen sein wird. Ich stelle mir vor, dass es durch die Jugendstrategie sehr viel einfacher für Jugendliche wird, ihre Themen direkt in die Landespolitik einzubringen. Die konkreten Formen dafür wollen wir im Dialog mit dem Landtag entwickeln.
Welche Visionen gibt es bereits zu einem jugendgerechten Baden-Württemberg – was soll in 5 Jahren anders sein?
Wenn das Land unsere Forderungen in vollem Umfang aufgreift, werden bei der Landtagswahl 2026 nicht nur 16-jährige mitwählen und für den Landtag kandidieren. Themen, die für Jugendliche wichtig sind, werden dann auch schon lange vor dem nächsten Wahlkampf im Land und in den Kommunen viel prominenter im Fokus von Politik und Verwaltung stehen.
Und noch etwas weiter gedacht: Ein jugendgerechtes Baden-Württemberg wird ein starker Impuls für die demokratische Kultur im Land insgesamt sein. Wenn Jugendliche ganz selbstverständlich und selbstbewusst gemeinsam Interessen formulieren, in demokratische Auseinandersetzungen gehen und das Land im Kleinen und Großen durch ihr Engagement in allen Bereichen noch intensiver mitgestalten, wird das nicht ohne positive Folgen für alle Generationen bleiben.
Zur Person
Reiner Baur ist Diplom-Pädagoge, seit 2009 Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Landesjugendringes Baden-Württemberg e.V. und seit Mai 2019 dessen Vorsitzender. Im Hauptberuf ist er Landesgeschäftsführer der BUNDjugend Baden-Württemberg .