Die Jugendstrategie der Bundesregierung
Rainer Wiebusch, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Referatsleiter 501 „Jugendstrategie, eigenständige Jugendpolitik
Liebe Leserinnen und Leser,
bereits ein Blick auf die weiteren Beiträge in dieser online-Veröffentlichung zeigt: jugendpolitisch ist derzeit vieles in Bewegung. In vielen Kommunen und Ländern, im Bund und auch in Europa – überall gibt es Bemühungen, um die Interessen und Belange junger Menschen stärker in den politischen Fokus zu rücken. Gerne möchte ich nachfolgend nähere Einblicke in die Jugendstrategie der Bundesregierung geben.
Jugend und ihre Lebenswelten
In Deutschland leben knapp 14 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 27 Jahren. Das sind immerhin 17 Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese jungen Menschen sind mindestens so bunt und vielfältig wie die Gesellschaft, deren Teil sie sind. Sie haben unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Lebensumstände, sie wohnen in der Großstadt oder wachsen auf dem Land auf. Sie machen ein Studium, eine Ausbildung, gehen noch zur Schule oder sind schon ins Berufsleben gestartet. Vor allem aber sind diese jungen Menschen von fast allen politischen Entscheidungen betroffen. Ob es vor Ort darum geht, dass der Bus nicht nur zweimal am Tag kommt und auch abends noch fährt. Oder darum, dass die Mieten für ein WG-Zimmer noch bezahlbar sind oder welche Perspektiven der Arbeitsmarkt ihnen bietet. Oder welches neue Rentenkonzept wir erarbeiten.
Daher haben wir für alle diese jungen Menschen – wie es der Koalitionsvertrag vorgesehen hat – eine Jugendstrategie der Bundesregierung entwickelt, die das Bundeskabinett am 3. Dezember 2019 beschlossen hat.
Warum ist das wichtig? Weil junge Menschen über alle Unterschiede hinweg wesentliche Gemeinsamkeiten haben. Weil Jugend eine prägende Lebensphase ist, in der sich viel tut und man mit vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt ist. Und weil es eine Politik braucht, die diese spezifische Situation kennt und ernst nimmt. Eine Politik also, die gute Bedingungen für alle 14 Millionen Jugendlichen und jungen Erwachsenen schafft und die ihnen mehr gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht.
Ein Meilenstein der Jugendpolitik
„In gemeinsamer Verantwortung: Politik für, mit und von Jugend“ – so lautet nicht nur der Titel, sondern auch das Leitprinzip für die Jugendstrategie. Mit dieser Jugendstrategie gibt es nun erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein gemeinsames Bekenntnis aller Ministerien, junge Menschen wirksam zu beteiligen und ihre Belange konsequent im Blick zu behalten. Die Jugendstrategie ist damit ein handfestes Versprechen, Jugendpolitik auch ressortübergreifend zu denken und eine Jugendpolitik aus einem Guss zu entwickeln.
Der Kabinettbeschluss ist in dieser Hinsicht die konsequente Fortführung der Eigenständigen Jugendpolitik, die das BMFSFJ bereits seit mehreren Jahren verfolgt und die viele Akteure seit Jahren eng begleiten und mitgestalten. Weil Maßnahmen in allen Politikfeldern Auswirkungen auf die junge Generation haben können, wurde die Jugendstrategie der Bundesregierung unter der Federführung des BMFSFJ von allen Ministerien in einer Interministeriellen Arbeitsgruppe entwickelt. Spätestens mit dem Kabinettbeschluss sind die Prinzipien der Eigenständigen Jugendpolitik also im Bewusstsein aller Ressorts angekommen. Diese Entwicklung halte ich in der Tat für einen jugendpolitischen Meilenstein.
Die gute Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien in einem aufwändigen Entwicklungsprozess ist das eine. Eine wirkungsvolle Beteiligung der Zivilgesellschaft sowie der jungen Menschen und ihrer Interessenvertretungen ist das andere.
Zur Einbindung von Zivilgesellschaft sowie Ländern und kommunalen Spitzenverbänden bei der Entwicklung und Umsetzung der Jugendstrategie leitet die parlamentarische Staatssekretärin Caren Marks gemeinsam mit der AGJ-Vorsitzenden Prof. Böllert den Beirat des BMFSFJ. Ich danke allen Beiratsmitgliedern für die kritisch-konstruktive Beratung und die wertvollen Impulse, die Sie uns damit geben.
Politik für, mit und von Jugend
Um zu wissen, welche Themen jungen Menschen unter den Nägeln brennen und wie aus ihrer Sicht jugendgerechte Politik aussieht, haben wir zahlreiche Beteiligungsformate durchgeführt. So konnten sich junge Menschen in den JugendPolitikTagen, in themenspezifischen Audits oder via Online-Konsultation intensiv einbringen. Ihre Ideen und Vorstellungen sind an vielen Stellen in die Strategie eingeflossen.
Inhaltlich basiert die Strategie auf neun jugendrelevanten Handlungsfeldern. Dabei geht es unter anderem um die Bedeutung jungen Engagements für unsere Demokratie, um die unterschiedlichen Herausforderungen des Aufwachsens in der Stadt und auf dem Land, um den Komplex von Bildung, Arbeit und Freiräumen, um Demokratie und selbstverständlich auch um Umwelt oder Mobilität.
Dabei gehen wir immer von den Interessen und Bedürfnissen junger Menschen aus. Wir analysieren die Ausgangslage, benennen Handlungsbedarfe und führen insgesamt 163 Maßnahmen aller Ressorts auf. Diese Übersicht zeigt eindrucksvoll, wo überall in der Arbeit der Bundesregierung Jugendpolitik drinsteckt.
Die 163 Maßnahmen bilden den Kern des Umsetzungsprozesses der Jugendstrategie. Dabei handelt es sich um neue Maßnahmen und um solche, die in dieser Legislaturperiode jugendpolitisch weiterentwickelt werden. Es ist eine neue Qualität der Jugendstrategie, diese Maßnahmen in Bezug auf junge Menschen zusammenzudenken.
Eine gemeinsame Aufgabe
Die ganze Bundesregierung trägt damit dazu bei, Jugend sichtbar zu machen und ihre Perspektiven zu berücksichtigen. Alle Bundesministerien übernehmen gemeinsam Verantwortung für die junge Generation. Ich freue mich daher, dass in weiteren Beiträgen auch einige Vertreterinnen und Vertreter aus anderen Ressorts (BMU, BMEL) ihre Perspektive auf die interministerielle Zusammenarbeit hier vorstellen.
Indem die Interministerielle Arbeitsgruppe sich über Fortschritte in der Umsetzung austauscht, sollen zudem weitere Synergien und auch neue Vorhaben entstehen. Die in der Jugendstrategie identifizierten Handlungsbedarfe bilden dabei eine Richtlinie für die zukünftige Gestaltung von Jugendpolitik, die auch bewusst über das Ende dieser Legislaturperiode hinausweist.
In diesem Zusammenhang sind auch die jugendpolitischen Aktivitäten im Rahmen der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft von Bedeutung. Gemeinsam wollen wir im Dialog mit jungen Menschen und im engen Austausch mit der Zivilgesellschaft dafür sorgen, dass die Jugendpolitik auf Kurs bleibt.
Darüber hinaus liegt ein Schwerpunkt des BMFSFJ auf der Weiterentwicklung und Erprobung jugendgerechter Kommunikations- und Beteiligungsformate. Dafür steht insbesondere die Initiative „Starke Kinder- und Jugendparlamente“, mit der wir und das Deutsche Kinderhilfswerk einen Beitrag zur Stärkung einer nachhaltigen Beteiligungslandschaft auf kommunalpolitischer Ebene leisten wollen.
Im Interesse der Jugend
All dies unternehmen wir auch im Bestreben, das Verhältnis von Jugend und Politik zu verbessern. Wir erleben seit letztem Jahr in ungeahntem Ausmaß, wie junge Menschen es schaffen, politische und mediale Aufmerksamkeit für Ihre Anliegen zu generieren. Dabei wissen wir schon lange, dass junge Menschen in der Lage sind, ihre Interessen zu formulieren und für sie einzutreten. Die junge Generation ist weder politik- noch demokratieverdrossen. Sie vertraut zwar der Demokratie, aber deutlich weniger den Politikerinnen und Politikern sowie ihren Parteien, die diese Demokratie maßgeblich prägen. Diese Befunde sind für uns ein dringender politischer Auftrag, auf junge Menschen zuzugehen, ihre Anliegen ernst zu nehmen und ihre Beteiligungsmöglichkeiten zu stärken. Hierfür bietet die Jugendstrategie der Bundesregierung einen guten Ausgangspunkt. Mit der Jugendstrategie haben wir ein gemeinsames jugendpolitisches Verständnis für die gesamte Bundesregierung. Das ist ein großer Erfolg, aber nichts, auf dem wir uns ausruhen können. Dieses Verständnis wollen wir nun in der Umsetzung auch mit Leben füllen. Die Analysen in der Strategie bieten dafür eine gemeinsame Grundlage auf der alle Häuser zusammen weiterarbeiten und eine ambitionierte Jugendpolitik gestalten können.