In der Pandemiesituation hat sich gezeigt, dass die Krise die besonders benachteiligten Jugendlichen auch besonders hart getroffen hat und Jugendarmut weiterhin ein großes Problem darstellt. Wie sollte dieses Thema Ihrer Meinung nach angegangen werden?
Bereits vor der Pandemie lebten über zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Armut. Um diesen unhaltbaren Zustand zu beenden haben wir eine armutsfeste Kindergrundsicherung vorgeschlagen. Zudem brauchen wir eine Ausbildungsplatzgarantie und Mindestauszubildendenvergütung, die diesen Namen auch verdient. Um die größten Härten, die zusätzlich durch die Pandemie entstanden sind, wenigstens abzufedern, ist es dringend notwendig psychologische Hilfe und kostenfreie Nachhilfemöglichkeiten massiv auszubauen. Das sogenannte „Aufholpaket“ der Bundesregierung ist hier bei weitem nicht ausreichend.
Welche jugendpolitischen Schwerpunkte setzt Ihre Partei für die kommende Legislaturperiode?
Die Teilhabe von jungen Menschen am gesellschaftlichen Leben muss unabhängig ihrer sozialen Herkunft oder ihres Wohnhortes gestärkt werden. Deswegen wollen wir die Kommunen darin unterstützen, mehr lebensnahe, barrierefreie und möglichst gebührenfreie Angebote für Kinder und Jugendliche bereitzustellen und die Kinder- und Jugendhilfe stärken. Ebenso wichtig ist es, dass junge Menschen überhaupt die Möglichkeit haben, auch zu den Angeboten zu kommen. Wir setzen uns daher für einen kostenlosen ÖPNV ein. In einem ersten Schritt sollen Kinder und Jugendliche kostenlos mit Bus und Bahn fahren können.
In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode gab es erstmals eine ressortübergreifende Jugendstrategie der Bundesregierung. Wie würden Sie die Jugendstrategie in der kommenden Legislaturperiode weiterentwickeln?
Ich denke, hier sind zweierlei Aspekte wichtig. Erstens sollte die Jugendstrategie stärker als bisher auf benachteiligte Jugendliche fokussieren. Ich habe es eingangs bereits gesagt: Über zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind arm. Diese Armut muss beendet werden, und die jungen Menschen brauchen eine Perspektive, wie sie auch im späteren Leben nicht wieder in Armut abrutschen. Zweitens braucht es verbindlichere Vorschläge, wie Jugendliche dauerhaft in Politikgestaltungsprozesse eingebunden werden können. Grade die Jugendstrategie der Bundesregierung hat doch gezeigt, wie schnell dann doch wieder in alte Handlungsmuster zurückgefallen wird und junge Menschen aus dem Fokus geraten.
Jugendliche fordern oft bessere Beteiligungsmöglichkeiten an den für sie relevanten politischen Entscheidungen, auch auf Bundesebene. Was können Sie sich da vorstellen?
Die Absenkung des Wahlalters ist längst überfällig. Wir setzen uns hier für ein Wahlrecht ab 14 Jahren ein, sind aber auch zu anderen Varianten gesprächsbereit, wenn wir hier nur endlich vorankommen. Außerdem setzen wir uns für eine Institutionalisierung von Beteiligungsstrukturen auf allen Ebenen und eine Ausweitung von Mitbestimmungsrechten in der Schule ein. Zentral sind für uns dabei die zahlreichen Jugendverbände, die wir weiter stärken wollen.
Flankierend wollen wir ein Demokratiefördergesetz schaffen, um zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antiziganismus, religiösen Fundamentalismus und für mehr Demokratie engagieren sowie Flüchtlingsräte, migrantische Verbände, selbstverwaltete Beratungsangebote und die Selbstorganisation von jungen Migrant*innen zu fördern.
Und schließlich wollen wir die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz – ausdrücklich auch des Rechts auf Beteiligung.
Das Verfassungsgerichtsurteil zum Klimagesetz hat das Thema Generationengerechtigkeit auf die Tagesordnung gebracht. Wie will Ihre Partei mit den unterschiedlichen Interessen der Generationen in Deutschland umgehen?
Die Frage des Klimaschutzes ist unseres Erachtens keine Generationenfrage. Schon jetzt sind die Auswirkungen des Klimawandel auch in Deutschland immer häufiger zu spüren. Hitze z.B. ist für alte Menschen genauso ein Problem wie für Kinder oder Schwangere. Deshalb wollen wir mit umfangreichen Maßnahmen die Klimaneutralität Deutschlands bis 2035 erreichen. Klar ist aber auch: Um gesellschaftliche Mehrheiten für echten Klimaschutz zu erreichen, müssen auch die Beschäftigten in jenen Industrien mitgenommen werden, die sich im Umbruch befinden. Daher schlagen wir ein umfassendes Klima-Job-Programm vor, welches durch umfassende Investitionen in den Klimaschutz und den Ausbau des Sozialstaates sowie einen Schutzschirm für die Beschäftigten in Umbaubranchen eine Millionen neue Arbeitsplätze schafft.
Wir bedanken uns für das Interview!
jugendgerecht.de - Arbeitsstelle Eigenständige Jugendpolitik - August 2021