Damit Politik und Fachpraxis wirkungsvoll und nachhaltig agieren können, müssen sie über die Lebenslagen und Belange junger Menschen aus erster Hand informiert sein. Für die Analyse der Lebenssituation der jungen Generation und der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sei es von zentraler Bedeutung, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu Wort kommen zu lassen. Junge Menschen sollen insofern als Expert*innen ihres Alltags in die Arbeit der Kommission des 17. Kinder- und Jugendberichtes der Bundesregierung miteinbezogen werden. Die Kommission möchte Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Stimme geben und hat das Beteiligungsverfahren „Nicht über uns ohne uns“ entwickelt. Das Interview führte Daniela Keilberth, Deutsches Jugendinstitut.
Frau Prof. Dr. Böllert, worum geht es bei dem Beteiligungsverfahren genau?
Neben verschiedenen Formen der Einbeziehung der Sichtweisen junger Menschen in den 17. Kinder- und Jugendbericht, z.B. über verschiedene Workshops, Anhörungen und Expertisen, ist es der Kommission sehr wichtig, eine Beteiligungsmöglichkeit zu schaffen, mit der die Perspektiven möglichst vieler unterschiedlicher Gruppen junger Menschen für uns als Kommission sichtbar werden. Ausgangspunkt unserer Überlegungen war der Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention. Es geht darum, die Interessen junger Menschen zu berücksichtigen. Das Anliegen des Verfahrens ist es, die Interessen und Meinungen junger Menschen nicht einschränkend und ausschließend, nicht interpretierend und auslegend oder bewertend und nicht relativierend zu erfassen, sondern einen Raum dafür zu schaffen, Meinungen und Interessen frei, quasi „unzensiert“ äußern zu können.
Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Wir haben ein Verfahren entwickelt, das auf die Expertise und Methodenkompetenz derjenigen setzt, die sich am besten mit den Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen auskennen. Das sind neben Eltern die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. Ob Ehrenamtliche oder Hauptamtliche, ob in der Kita, in der Unterkunft für minderjährige Geflüchtete, in der Gruppenstunde der Jugendfeuerwehr, sie sind diejenigen, die wissen, wie junge Menschen erreicht werden, welche Rahmenbedingungen und welche Unterstützungen notwendig sind. Für sie haben wir ein Konzept entwickelt und einen Leitfaden geschrieben, wie sie mit Gruppen junger Menschen zu ihren Lebenslagen in einem ca. 30-minütigen Workshops arbeiten können.
Was unterscheidet dieses Verfahren von einem Forschungsansatz?
Der 17. Kinder- und Jugendbericht ist kein Forschungsbericht oder ein Forschungsprojekt, sondern die Perspektive einer Expert*innenkommission, die sich auf viele verschiedene Quellen stützt. Eigene empirische Erhebungen werden seitens der Kommission nicht durchgeführt. So ist auch das Beteiligungsverfahren keine Forschung. Es ist vielmehr ein Versuch, Kinder und Jugendliche nicht nur als Objekte der Betrachtung anhand bestimmter Fragestellungen zu sehen, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, sich aktiv an der Erstellung des Kinder- und Jugendberichtes zu beteiligen. Die Kommission möchte die von ihnen geäußerten Interessen und Bedürfnisse wirkungsvoll berücksichtigen – nicht nur als Anekdoten, sondern als exemplarische Äußerungen der jungen Generation. Uns ist völlig klar, dass wir damit eine hohe Verantwortung an die Fachkräfte vor Ort abgeben. Wir bringen ihnen aber genauso unser Vertrauen in ihre Expertise für die Gruppen junger Menschen an der Basis entgegen und hoffen, dass darüber eine größere Vielfalt junger Menschen zu Wort kommen kann.
Aus welchem Grund ist das Beteiligungsverfahren am Deutschen Jugendinstitut und hiermit an einem Forschungsinstitut angesiedelt?
Die Geschäftsführung für die Kinder- und Jugendberichte liegt beim Deutschen Jugendinstitut (DJI). Zentrale Aufgabe der am DJI angesiedelten Geschäftsstelle des 17. Kinder- und Jugendberichtes ist es, die berufene Sachverständigenkommission bei ihrer Arbeit inhaltlich und organisatorisch zu unterstützen und ihr bei der Berichterstellung fachlich-wissenschaftlich zuzuarbeiten. Im Falle des Beteiligungsverfahrens „Nicht über uns ohne uns“ unterstützt das DJI die Sachverständigenkommission, indem sie online eine Plattform mit allen relevanten Informationen und Materialien des Beteiligungsverfahren sowie für die Übermittlung der Antworten der jungen Menschen zu Verfügung stellt.
Was würden Sie sich wünschen?
Wir sind uns völlig darüber im Klaren, dass es sich dabei um ein Experiment handelt, denn etwas Vergleichbares gab es bei vorherigen Kinder- und Jugendberichten und allgemein in der Sozialberichterstattung bislang noch nicht. Ich wünsche mir, dass diesem Verfahren Verständnis und Unterstützung entgegengebracht wird und die Chance gesehen und wahrgenommen wird, junge Menschen zu beteiligen, die wir sonst nicht erreichen würden. Ich würde mir wünschen, dass über vorhandene Netzwerke möglichst viele Fachkräfte und damit auch Kinder und Jugendliche erreicht werden. Und schließlich wünsche ich mir, dass bis zum 15.August 2023 über die Seite beim Deutschen Jugendinstitut (www.dji.de/Beteiligung-17KJB) möglichst viele Antworten hochgeladen werden und die dort eingestellten Materialien zur Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden, um unser Ansinnen bekannt zu machen. Die Jugendberichtskommission freut sich auf jeden Fall darauf, von den jungen Menschen zu hören und bedankt sich bei allen Fachkräften, die uns bei diesem Verfahren unterstützen!
Kontaktmöglichkeit
Weitere Information zum Beteiligungsverfahren "Nicht über uns ohne uns!", angesiedelt beim DJI, finden sich hier. Bei Rückfragen zum Beteiligungsverfahren kann sich an Daniela Keilberth, Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des 17. Kinder- und Jugendberichtes, gewandt werden: Per E-Mail an beteiligung-17.KJB(at)dji.de oder telefonisch unter 089/62306-324 (Sprechzeiten: Montag 14:30 - 16:30Uhr sowie Mittwoch von 10:00 - 12:00Uhr).
Quelle: Sachverständigenkommission des 17. Kinder- und Jugendberichts