Interview
Home > Eigenständige JugendpolitikKlage für wirksame Klimapolitik und Generationengerechtigkeit

(30.09.2024) Die NGOs Greenpeace und Germanwatch haben gemeinsam mit tausenden Bürger*innen Verfassungsbeschwerde wegen der unzureichenden klimapolitischen Aktivitäten der Bundesregierung eingelegt. Den Hintergrund erläutert Baro Vicenta Ra Gabbert im Interview. 

Fridays for Future - Demonstration, (c) AGJ, Foto: Jörg Farys/Die Projektoren Fridays for Future - Demonstration, (c) AGJ, Foto: Jörg Farys/Die Projektoren
Fridays for Future - Demonstration, (c) AGJ, Foto: Jörg Farys/Die Projektoren

Frau Gabbert, Greenpeace und Germanwatch haben allen in Deutschland wohnenden Menschen angeboten, eine Verfassungsbeschwerde gegen die – aus Ihrer Sicht – unzureichende Klimapolitik und die jüngsten Änderungen des Klimaschutzgesetzes einzulegen. Wie kamen Sie auf die Idee, und wie ist die bisherige Resonanz?

Die Idee einer weiteren Verfassungsbeschwerde kam daher, dass Deutschland dabei ist, seine internationalen Klimaverpflichtungen und eigenen Klimaziele zu verfehlen. Noch dazu haben Bundesregierung und Bundestag beschlossen, das Klimaschutzgesetz aufzuweichen. Dadurch rückt die Einhaltung der Ziele in noch weitere Ferne. Wir wollten allen in Deutschland lebenden Menschen ermöglichen, sich anzuschließen, weil das Bundesverfassungsgericht selbst 2021 in seiner Klima-Entscheidung bestätigt hat: Klimapolitik und Klimaschutz betreffen eine Vielzahl individueller Freiheiten. Etwa im Bereich Gesundheit, Verkehr oder Wohnen. Viele Menschen wollen diese Freiheiten rechtlich angemessen berücksichtigt sehen und haben sich nach der letzten Entscheidung an uns gewandt, um zu wissen, was sie tun können. Daraufhin haben wir die Verfassungsbeschwerde für alle geöffnet, die ihren Rechten Geltung verschaffen wollen. Die Resonanz ist überwältigend: Mehr als 54.000 Menschen haben sich angeschlossen.

Diese Verfassungsbeschwerde weckt Erinnerungen an die Verfassungsbeschwerde, welche über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2021 über den Begriff Generationengerechtigkeit eine neue Brücke zwischen Klima- und Jugendpolitik geschlagen hat. Können Sie uns kurz erklären, was „transgenerationale Freiheitsrechte“ in dem Zusammenhang sind, und warum sie für die Jugendpolitik von Bedeutung sind?

Wir haben nur noch ein bestimmtes CO2-Budget zur Verfügung, um unsere Klimaverpflichtungen zu erreichen. Gelingt es nicht, die Gesellschaft im Rahmen dieses Budgets klimaneutral zu modernisieren, droht eine „Vollbremsung“. So hat das Bundesverfassungsgericht es genannt. Dann könnte man nur noch mit plötzlichen und tiefen Einschnitten, auch in potenziell empfindlichen Lebensbereichen und Freiheiten, den Klimaschutzverpflichtungen nachkommen. Besonders betroffen wären dann auch die Freiheitschancen jüngerer Generationen. Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 entsprechend festgestellt, dass die Verfassung gebietet, die natürliche Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten und dabei grundrechtlich geschützte Freiheiten über die Zeit hinweg angemessen zu verteilen. Sprich, einen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität einzuleiten.

Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich von der erneuten Verfassungsbeschwerde?

Zunächst einmal, dass das Bundesverfassungsgericht Bundesregierung und Bundestag dazu verpflichtet, ihre Ambition beim Klimaschutz an die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens anzupassen. Zweitens, dass die Novelle des Klimaschutzgesetzes zurückgenommen werden muss und endlich ausreichende Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden. Und drittens – und das ist juristisches Neuland – dass die Entscheidung unser Argumentation folgt, dass Klimaschutz auch sozial-gerecht ausgestaltet sein muss. Etwa, indem Maßnahmen zum Schutz des Klimas junge Menschen und auch Menschen auf dem Land mitdenken, die sich künftig ohne Verbrenner klimaneutral fortbewegen können sollen. Oder, indem Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit wenig Einkommen in der Transformation hin zur Klimaneutralität rechtzeitig berücksichtigt werden und jetzt schon ausreichende Maßnahmen getroffen werden, um ihre Freiheiten in Zukunft zu sichern.

Was muss perspektivisch passieren, um die Interessen junger Menschen im politischen Raum sichtbarer zu machen und politische Entscheidungsprozesse stärker auf Interessen und Bedürfnisse junger Menschen auszurichten?

Einerseits ist es an der Politik, dass sie Gerichtsentscheidungen, die die Rechte junger Menschen schützen – neben der Klimaentscheidung denke ich da etwa an die Entscheidung zur Sicherung von Bildungsstandards – auch tatsächlich ernst nimmt und gewissenhaft und nachhaltig umsetzt.

Andererseits sollte die Politik nicht erst von Gerichten dazu verurteilt werden müssen, die Belange junger Menschen angemessen zu berücksichtigen. Dafür braucht es Strukturen, die junge Menschen in jede Entscheidung und jeden Politikbereich, der sie betrifft, ernsthaft beteiligen und ihre Interessen einbeziehen. 

Junge Menschen werden die Folgen einer schlechten Klimapolitik am längsten ertragen müssen, können aber die Politik an der Wahlurne nur wenig beeinflussen. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass viele junge Menschen nicht wählen können und das durchschnittliche Wahlalter in Deutschland über 50 beträgt, muss die Politik diese Diskrepanz berücksichtigen. 

Weitere Informationen zur Verfassungsbeschwerde finden sich bei Greenpeace Deutschland bzw. bei Germanwatch

Baro Vicenta Ra Gabbert, Foto: Lucas Wahl/Greenpeace

Baro Vicenta Ra Gabbert ist Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit bei Greenpeace Deutschland, Gründerin der studentischen rechtswissenschaftlichen Initiative Climate Clinic sowie stellv. Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums

Bildnachweis: Lucas Wahl/Greenpeace