Seit der ersten Erwähnung in einem Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat sich in den letzten 15 Jahren die Eigenständige Jugendpolitik als Politikansatz auf Bundesebene etabliert. Mit der im Rahmen der Jugendstrategie der Bundesregierung einberufenen Interministeriellen Arbeitsgruppe Jugend wird seit 2019 ressortübergreifende Jugendpolitik umgesetzt. In der aktuellen Legislaturperiode wird dieser Ansatz mit einem Nationalen Aktionsplan Kinder- und Jugendbeteiligung (NAP) weiterentwickelt. Im Interview berichtet die Referatsleiterin des federführenden Referats im Bundesjugendministerium, Judith Hammann, zum Entstehungsprozess und den aktuellen jugendpolitischen Entwicklungen auf Bundesebene.
Frau Hammann, welche Ziele verfolgt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit dem Prozess zum NAP Kinder- und Jugendbeteiligung?
Mit ihrer Jugendstrategie von 2019 hat sich die Bundesregierung erstmals ausdrücklich zu ihrer Verantwortung für die eigenständige Lebensphase von Jugendlichen und jungen Erwachsenen bekannt. Seitdem setzt sie sich dafür ein, die notwendigen Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen dieser Altersgruppen zu ermöglichen – unter anderem in der Interministeriellen Arbeitsgruppe Jugend (IMA). Bereits bei der Erstellung der Jugendstrategie spielte die Frage, wie eine gute Beteiligung junger Menschen gelingen kann, eine zentrale Rolle. Im Koalitionsvertrag der 20. Legislaturperiode wurde mit dem Vorhaben zur Umsetzung eines NAP für Kinder- und Jugendbeteiligung der Beteiligungsaspekt in den Mittelpunkt gerückt, um die Jugendstrategie weiterzuentwickeln. Ziel ist es, die Beteiligung von allen in Deutschland lebenden jungen Menschen bis 27 Jahren, auf allen Ebenen und bei allen sie betreffenden Entscheidungen, zu stärken. Über den Fokus der Jugendstrategie hinaus werden hierbei auch Kinder, also die Altersgruppe unter 12 Jahre, sowie die staatlichen Ebenen Länder und Kommunen in Bezug auf Beteiligung in den Blick genommen.
Der direkte Austausch mit Kindern und Jugendlichen spielt eine große Rolle im NAP-Prozess. Was war bei Konzeptionierung und Durchführung des NAP besonders wichtig, und wie hat sich das in den konkreten Angeboten dargestellt?
Der NAP wurde bewusst als Dialogprozess konzipiert, welcher mit einem Kabinettsbeschluss endet. Dialogprozess heißt, dass wir eine Reihe von Veranstaltungen und Formaten konzipiert haben, in denen wir mit verschiedensten Akteur*innen aller relevanten Ebenen und Handlungsfelder in den Austausch getreten sind. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von anderen Nationalen Aktionsplänen, bei denen in der Regel ein Kabinettsbeschluss den Auftakt bildet. So waren seit November 2022 in unterschiedlichen bundesweiten Formaten junge Menschen, deren Interessensvertretungen sowie Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Bund, Ländern und Kommunen an der Entwicklung und Umsetzung des NAP kontinuierlich beteiligt. Damit der NAP gelingt, ist es uns insbesondere wichtig gewesen, dass vor allem die Zielgruppe, also Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, an der Umsetzung beteiligt werden.
Zu den Formaten gehörten Dialogforen, Denkfabriken, Kinder- und Jugendaudits sowie die JugendPolitikTage (JPT) und die BundesJugendKonferenz (BuJuKo). In diesen Veranstaltungen wurden und werden Empfehlungen zur Stärkung von Kinder- und Jugendbeteiligung erarbeitet. Der NAP ermöglicht insofern von Beginn an vielfältige Formen des Mitwirkens, des (Fach-)Austausches, des gemeinsamen Lernens und der Bildung von Netzwerken. Die inhaltliche Ausrichtung der Formate im Dialogprozess orientierte sich an den allgemeinen Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung, welche wir 2022 zusammen mit dem Bundesjugendring veröffentlicht haben. Sie bieten gute und vor allem konkrete Ausgangspunkte, um sich über Erfahrungen, Herausforderungen und Hürden in unterschiedlichen Beteiligungsprozessen auszutauschen.
Wie wurden die Perspektiven der anderen Bundesministerien in Sachen Jugendbeteiligung in den Prozess eingebunden?
Wir stehen im intensiven Austausch mit den Ressorts in der IMA. In dieser Legislatur liegt ein wesentlicher Schwerpunkt der Beratung auf der Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung in den einzelnen Bundesbehörden. Hier ist in den letzten Jahren, auch dank der Umsetzung der Jugendstrategie, viel passiert. In der IMA wird sich ausführlich dazu ausgetauscht und die Erkenntnisse fließen in den NAP ein. Die Ressorts beteiligen sich außerdem in den NAP-Formaten und setzen beispielsweise Workshops zur BuJuKo und zu den JPT um. Darüber hinaus fördern wir mit dem Bundeskompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung (KomKJB) seit Januar 2023 eine Institution, welche die Bundesministerien und nachgeordnete Behörden bei der Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung berät. Das Angebot wird bereits rege genutzt.
Welche Zwischenerkenntnisse hat das Ministerium im NAP-Prozess gewonnen, auch mit Blick auf die regelhaften Beteiligungsformate BuJuKo (zuletzt im Mai 2024) und JPT (zuletzt im Mai 2023)?
Wir verstehen den NAP auch als einen lernenden Prozess. Durch den Austausch und die Vernetzung entfaltet bereits der Dialogprozess seine Wirkung und stärkt nachhaltig im Diskurs die Beteiligung von jungen Menschen. Daher haben wir in den letzten Jahren auch für die Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung im BMFSFJ Erfahrungen sammeln können, welche wir beispielsweise bei der Besetzung von Gremien mit jungen Menschen, etwa im jugendpolitischen Beirat des BMFSFJ, einsetzen. Für die BuJuKo und JPT ist uns wichtig, insbesondere die Vernetzung unter den jungen Menschen, aber auch das Empowerment und die Vielfalt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie den direkten Austausch mit Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung auf Bundesebene stärker in den Fokus zu rücken. Mit Blick auf das Erwartungsmanagement solcher Formate wollen wir zukünftig noch transparenter Auskunft geben, was Jugendliche und junge Menschen erwartet und wo vielleicht auch die Grenzen von Beteiligung in solchen Formaten auf Bundesebene liegen.
Nun endet diese Legislaturperiode früher als geplant. Was bedeutet diese Herausforderung für den NAP?
Ja, angesichts des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode müssen verschiedene Vorhaben umgeplant werden, so auch unser NAP. Wir sind sehr froh, dass wir den Dialogprozess abschließen konnten. Er endete im Herbst 2024 mit einem Kinder-Audit in einer Kita in Mannheim, bei dem wir noch einmal ganz konkret Beteiligung vor Ort betrachtet haben. Wir haben in diesem Prozess 1700 überwiegend junge Menschen und Fachkräfte erreicht und damit einen der größten Kinder- und Jugendbeteiligungsprozesse einer Bundesregierung umgesetzt. Und nun werden wir einen ersten Auszug mit Handlungsempfehlungen für die Bundesebene zeitnah veröffentlichen. Die ausführliche Abschlussdokumentation wird rechtzeitig zum Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag im Mai erscheinen. In dieser werden die Ergebnisse des Dialogprozesses umfassend für die Fachwelt und Interessierte zur Verfügung gestellt.
Mit den Veröffentlichungen setzen wir wesentliche Impulse für die weitere Befassung mit Kinder- und Jugendbeteiligung, insbesondere auf Bundesebene. Wir erhoffen uns, und werden uns dafür einsetzen, dass die Impulse in der nächsten Legislatur aufgegriffen werden.
Zur Person
Judith Hammann leitet zusammen mit Dr. Philipp Rogge das Referat 501 „Jugendstrategie, Kinder- und Jugendbeteiligung, Jugendverbandsarbeit, politische Bildung, Deutsches Jugendinstitut“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Frau Hammann ist zuständig für den Teil „Jugendstrategie, Kinder- und Jugendbeteiligung“.
Das vorliegende Interview ist ein Auszug, das vollständige Gespräch findet sich in der Fachzeitschrift FORUM Jugendhilfe 03/2024. Mit freundlicher Genehmigung der AGJ, Dezember 2024.