Welche Themen bestimmen momentan die Lebensbedingungen Studierender in Deutschland gerade besonders?
Aus meiner Arbeit in der Hochschulpolitik bekomme ich immer wieder mit, dass die Probleme von Studierenden sehr divers sind, so wie die Studierenden selbst auch. Schon seit Beginn meiner eigenen Studienzeit, in den letzten Jahren noch einmal verstärkt, merke ich, wie viele Studierende unter den wachsenden Kosten des alltäglichen Bedarfs, aber auch unter Fragen nach bezahlbarem Wohnraum und psychischer Belastung leiden. In meiner Arbeit setzte ich mich daher für den Ausbau von (studentischen) Sozialleistungen ein, das Klischee des ‚faulen Studenten‘ ist mehr als überholt und vor Ort versuche ich, niedrigschwellige, kostenlose studentische Kultur zu gestalten, damit der Ausgleich zum Alltagsstress nicht eine Frage des Einkommens bleibt.
Welche Folgen hat studentische Armut für diejenigen, die mit geringen finanziellen Ressourcen ein Studium aufnehmen?
Leider ist die überspitzte Aussage „studieren zu können, ist ein Luxus“, gar nicht so weit hergeholt. Es gibt viele, die vor dem Studium abwägen müssen, ob sie es sich leisten können und zu welchen persönlichen Kosten. Ein Studium aufzunehmen und keine finanzielle Sicherheit zu haben bedeutet vor allem eins: Stress. Stress, einen Job zu finden, der sich mit dem Curriculum vereinbaren lässt; Stress, das nötige Geld jeden Monat zu haben; Stress, Kontakte zu pflegen, obwohl die Zeit knapp ist und kostenlose Aktivitäten rar sind; Stress, gute Noten zu schreiben und rechtzeitig mit dem Studium durchzukommen, da sonst Förderungen wegfallen. Es sind so viele Probleme und Sorgen, die noch neben dem alltäglichen Wahnsinn anfallen, sodass man nicht von Chancengleichheit sprechen kann.
Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer zunehmenden Abwertung von Ausbildungsberufen; das Studium wird als Norm betrachtet und gleichzeitig ist es so voller Barrieren. Ich wünsche mir eigentlich genau das Gegenteil: Ein Studium, das für alle zugänglich ist, die Lust an Forschung haben, aber eben nicht als gesellschaftliche Voraussetzung, um später vielleicht eine Arbeitsstelle zu halbwegs passablen Konditionen zu finden.
Wie bewerten Sie das BAföG in seiner derzeitigen Ausgestaltung, auch im Zusammenspiel mit Studienkrediten?
Der BAföG-Satz reicht nicht zum Leben aus, eigentlich sind wir deshalb auch vor ein paar Jahren vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Letzten Herbst kam nun das vernichtende Urteil, das grob zusammengefasst besagt, dass es keinen grundrechtlichen Anspruch auf Studieren gibt; wer es sich nicht leisten kann, soll es eben lassen. Die Studienfinanzierung liegt laut Gericht allein im politischen Ermessen – doch die Politik handelt nicht.
Neben den zu niedrigen Bedarfsätzen und einer realitätsfernen Wohnkostenpauschale ist es auch weiterhin so, dass der Antrag ein bürokratisches Monster ist und die Bearbeitung Monate dauert – Monate, in denen Studierende einfach kein Geld haben. Auch ist das BAföG weiterhin elternabhängig, wir wissen leider von zu vielen Fällen, in denen Eltern selbst mit dem Antrag überfordert sind oder es ihren Kindern bewusst schwer machen. Zudem ist BAföG kein Vollzuschuss – ein erheblicher Teil muss zurückgezahlt werden. Gerade in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten schreckt das viele ab. Studienkredite sind noch weniger eine Lösung, denn sie führen zu einer massiven Schuldenlast nach dem Abschluss und sind manchmal intransparent. Stipendien wiederum stehen nur einer kleinen Gruppe zur Verfügung und man muss sich immer bewusst machen, dass sich vor allem Akademikerkinder auf diese bewerben. Es bräuchte eine strukturelle Reform der Studienfinanzierung – eine, die Studierenden echte Sicherheit bietet, unabhängig vom Elternhaus unkompliziert zu beantragen ist und einen nicht nach dem Studium mit Schulden allein lässt.
Ein Lebensbereich, welcher in den letzten Jahren besonders teuer und für junge Menschen oft prekär geworden ist, ist der Wohnungsmarkt. Wie sehen Sie die aktuelle Lage, und sind politische Programme wie „Junges Wohnen“ schon die Lösung?
Natürlich haben wir uns gefreut, als das Programm „Junges Wohnen“ angekündigt wurde – viele Wohnheime sind marode, und teils braucht es auch neue. Doch von Anfang an war klar: Das allein wird die Wohnungsnot nicht lösen. Mieten belasten viele Menschen in Deutschland, doch gerade bei niedrigem Einkommen steigt die Mietkostenbelastung drastisch an. Es fehlt nicht unbedingt an Wohnraum, sondern an bezahlbarem Wohnraum. Oft heißt es, Studierende sollen einfach in eine günstigere Stadt ziehen – das ist aber keine echte Lösung. Bestimmte Studiengänge gibt es nur an wenigen Orten, und auch andere Faktoren wie Familie oder Jobmöglichkeiten bestimmen, wo man leben kann. Selbst in vormals günstigen Regionen wie Ostdeutschland oder dem Ruhrgebiet steigen die Mieten mittlerweile drastisch.
Auch beim Programm „Junges Wohnen“ sehen wir Probleme: Die bereitgestellten Mittel reichen nicht einmal aus, um die dringend benötigte Sanierung bestehender Wohnheime zu finanzieren. Zudem können auch nicht gemeinnützige Träger gefördert werden, sodass private Investoren profitieren könnten. Sie würden Wohnheime bauen, die zwar zunächst eine Belegbindung und niedrigere Mieten haben, langfristig aber in teure, möblierte „Studierendenwohnungen“ umgewandelt werden – unbezahlbar für die meisten im Studium.
Statt punktueller Maßnahmen braucht es eine echte Strategie: mehr sozialen Wohnungsbau, strengere Mietregulierungen und eine konsequente Förderung bezahlbaren Wohnraums – nicht nur für Studierende, sondern für alle, die von der Krise betroffen sind.
Zur Person
Rahel Schüssler studiert Geographie an der Universität Bonn, mit Schwerpunkten auf Sozialer Ungleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Wohnraumfragen. Sie arbeitet im freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs e.V.) als Referentin für BAföG und studentisches Wohnen. Zudem ist sie Mitglied des Ausschuss Mutterschutz des BMFSFJ.