Dieser Text beginnt gedanklich in der Kommune Dresden und er endet in der Landeshauptstadt Dresden. Als im Frühsommer durch die Folgen eines Großbrandes die Existenz einer großen Anzahl an Bandproberäumen für junge Menschen unsicher war, schwang in den kommunalen Debatten unverzüglich eine Sorge mit: Wissend, dass es neben dem betroffenen Objekt kaum bestehende Gebäude-Alternativen oder gar Optionen für einen Neubau gibt, war allen bewusst, dass einer der wenigen Orte für junge Menschen in Dresden – alternativlos – verloren schien. Zum Glück scheint es anders zu kommen, die Feuerschäden sind entgegen den ersten Einschätzungen beheb- und das Gebäude weiter nutzbar. Doch zeigt dieses Ereignis zweierlei auf: Zwar haben in Großstädten anders als in ländlichen oder kleinstädtischen Räumen junge Menschen alternative Angebote und können zwischen diversen Orten wählen. Doch diese Orte sind keinesfalls nur in der kulturellen Bildung in ihrer Anzahl begrenzt, fällt einer weg, ist die Leerstelle offensichtlich. Dies ist den politischen Verantwortungstragenden sehr bewusst, trotzdem scheint es seit Langem schwerzufallen, darauf entsprechend zu reagieren und Jugend nicht nur als eine kämmerisch herausfordernde Aufgabe und Personengruppe zu verstehen, sondern sie als das zu behandeln, was sie sind: divers und vor allem die Zukunft unserer Gesellschaft.
Unverzweckte Freiräume
Dabei kann und muss die Debatte um Orte für junge Menschen breit gedacht werden: Es bedarf ebenso unverzweckter Räume (Freiräume für eigene Handlungen, Erfahrungen- und Entscheidungen sowie eigene Gestaltungsmöglichkeiten mit einem hohen Maß an Autonomie und die Abwesenheit von Kontrollpersonen) wie auch Orte konkreter Bildungs- und Beratungsmöglichkeiten. Und nicht zu vergessen ist der öffentliche Raum als Ort, der für alle Mitmenschen frei zugänglich ist. Genau dieser bildet aber beispielhaft eine Entwicklung auch mit Blick auf die notwendigen Freiräume und sozialen Orte junger Menschen ab: Viele Orte, an denen sich vorhergehende junge Generationen noch frei bewegen oder einfach aufhalten konnten, sind heute nicht mehr vorhanden. Freiflächen wurden bebaut, Spiel- und Sportplätze sind sofern vorhanden klar umzäunt und noch bestehende Jugendzentren sind vermehrt durch den Neubau von Wohnungen mit auf Ruhe hoffenden Nachbarschaften umgeben.
Junge Menschen werden leicht als störend empfunden, wenn sie vermeintliche oder tatsächliche Grenzen und Regeln etwa von Ordnung und Sauberkeit verletzen (beispielsweise Lautstärke, Müll, Zweckentfremdnung von Gegenständen/Orten, Präsenz in hoher Zahl etc.). Jedoch sind Grenzverletzungen jugendliche Suchbewegungen oder ein Austesten der Grenzen, die zu einer konkreten fachlichen wie auch jugendpolitischen Aufgabe werden. Gerade in Ballungsräumen ist insbesondere der öffentliche Raum, sehr „verregelt“ (die zahlreichen Gitter um viele Spiel- und Bolzplätze drücken dies sinnbildlich aus), bei Platzmangel ist die Debatte um seine Nutzung regelrecht „umkämpft“. Räume zum Ausprobieren werden somit zur Mangelware. Oftmals sind sie durch die Erwachsenen jungen Menschen zugeschrieben und in der Anzahl sowie Gestaltung begrenzt – die Wahrscheinlichkeit einer vermeintlichen oder tatsächlichen Störung steigt, ein Kreislauf schließt sich gewissermaßen und zieht zwei grundlegende Fragen nach sich: Welche Akzeptanz ermöglicht Gesellschaft für das Aufwachsen von jungen Menschen und für die Jugendkultur? Und mit welcher Intension wird mit ihnen und über sie kommuniziert? Die Erfahrung zeigt, dass partizipative Ansätze in Kommunen hilfreiche Antworten eröffnen. Denn auf diesem Weg binden Kommunen für die Bebauung öffentlicher Orte, Orte der Jugendarbeit oder jugendorientierten Ereignisse wie beispielsweise Festivals, junge Menschen konkret mit in den Gestaltungsprozess ein. Da es keine allgemeingültige Antwort darauf gibt, was junge Menschen als einen für sie unverzweckten und attraktiven Raum annehmen, müssen sie in Entscheidungsprozesse eingebunden sein.
„Nicht-Beteiligung“ hat Folgen
Dieser gesellschaftliche Prozess wird in herausfordernder Art beeinflusst von einer demografischen Entwicklung, von Fachkräftemangel sowie einer fehlenden auskömmlichen Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe. Gelingt es zu selten, Partizipation im Miteinander zu verankern, steigt zunehmend die Wahrscheinlichkeit, dass in einer immer älter werdenden Gesellschaft die Bedarfe und Interessen junger Menschen leicht in eine nachrangige und von der Mehrheit zugeschriebene Rolle gedrängt werden. Wie schnell und leicht die Automatismen einer „Nicht-Beteiligung“ greifen, wurde insbesondere, aber auch exemplarisch durch die Corona-Pandemie deutlich. Die JuCo-Studien haben herausgearbeitet, wie sehr sich junge Menschen eben nicht beteiligt gesehen haben und politische Entscheidungen an ihren Bedarfen vorbei ohne sie getroffen wurden: „Das Recht der jungen Menschen auf Beteiligung und Schutz darf nicht ein Schönwetterrecht sein und muss demnach krisenfest sein. Wenn es in der Krise aussetzt, ist es nicht fest genug etabliert. Die Rechte der jungen Menschen sind ebenfalls Grundrechte […].“ (Andresen, Sabine et al. (2020): Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo.)
Wie in nahezu allen beruflichen Zweigen sind auch die in der Bildungsarbeit mit jungen Menschen tätigen Berufe der Sozialen Arbeit und die Erziehungsberufe von einem Fachkräftemangel betroffen. Zumeist werden Kommunen in Sozialräume eingeteilt und jedem dieser Sozialräume wird eine notwendige Anzahl an Jugendclubs oder Personalstellen der Fachkräfte zugeschrieben. Während in Ballungsräumen Rückzugsorte durch das Ausweisen von Bauflächen verschwinden (Wo können Kinder heute noch außerhalb von Spielplätzen und Parks Verstecken spielen?), lässt sich im ländlichen Raum beobachten, dass sich die Anzahl der Orte für junge Menschen ebenfalls reduziert. Denn durch die Quantifizierung von Jugendräumen in Orientierung an einer Einwohner*innenzahl verteilen sich Orte für junge Menschen auf eine immer größere Grundfläche. Ist der Weg zum Ort der Jugendarbeitsangebote zu weit oder kaum mit ÖPNV zu erreichen, von einer Jugendkultur oder einem Schwerpunkt der Jugendarbeit geprägt, welche nicht dem eigenen entsprechen, werden die naheliegende Bushaltestelle oder das Internet zum mehr oder weniger attraktiven Gegenangebot.
Exemplarisch hat die Evangelische Akademie Sachsen in Kooperation mit der AG Eigenständige Jugendpolitik in Sachsen in der Veranstaltung „Platznot“ im Herbst 2021 eine wiederkehrende Beobachtung herausgearbeitet: Das Ausrichten des jugendpolitischen Handelns in einer Kommune ist maßgeblich vom Handeln und von der Haltung der kommunalen Spitze abhängig. Nur wenn der*die Oberbürgermeister*in junge Menschen als Adressat*innen des kommunalen Handelns eindeutig adressiert und auch einbindet, steigt die Wahrscheinlichkeit einer gelingenden Umsetzung. Mit Umsetzung ist jedoch keinesfalls ausschließlich das Ressort des Jugend-/Sozialamtes gemeint. Beispielsweise im Bauamt und in der Umsetzung von Bauordnungen, Flächennutzungsplänen müssen die Beteiligung und die Ausrichtung der Planungen auf die Lebenswirklichkeit junger Menschen in ihrer Planung eingebunden sein. Es bedarf eines ressortübergreifenden Nachdenkens und Wirkens. Da junge Menschen zudem selten selbstverständlicher Teil sozialer, politischer oder rechtlicher Partizipation sind, ist diese zu ermöglichen und zu verankern. Andersfalls besteht die ungünstige Option, dass an deren Bedarfen vorbeigeplant und umgesetzt wird und sie sich als ausgegrenzten Teil demokratischer Prozesse erleben – Desinteresse oder Zweifel an politischen Entscheidungsprozessen wird so genährt. Gewöhnliche kommunale Beteiligungsprozesse adressieren junge Menschen in der Art der Ausrichtung, Sprache, des Ortes oder der Ausweisung nicht, jedoch sind auch Kinder und Jugendliche gleichberechtigter Teil der Öffentlichkeit.
Zumeist wird zuerst an die Einrichtung von Jugendparlamenten gedacht. Jedoch zeigt die Erfahrung in der Anwendung von Beteiligungsformaten in Repräsentativform, dass diese Erfolgsgrenzen aufweisen. Denn eine ordentliche Aufrechterhaltung eines solchen Gremiums erweist sich mit der Zeit als schwierig, da Mitglieder altersbedingt ausscheiden und Erfolg ein wesentlicher Antrieb für dieses intensive Ehrenamt ist. Zudem prägen in der Regel junge Menschen mit höherem Bildungshintergrund formale Beteiligungsgremien. Es gibt zahlreiche jugendgerechte Beteiligungsinstrumente, welche einander in Beteiligungsprozessen ergänzen können und Augenhöhe zwischen Erwachsenen und jungen Menschen ermöglichen. Der Aufbau und die Umsetzung dieser jugendaffinen Beteiligungsprozesse als Teil des Schaffens jugendgerechter Orte ist eine mühevolle, weil häufig die dafür notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung stehen beziehungsweise jugendpolitisch nicht zur Verfügung gestellt werden. Zudem verändern sich durch das Aufwachsen und auch durch Zu- und Abwanderung immer wieder die Adressat*innen in der Zusammensetzung und ihren Bedarfen. Darüber hinaus bedarf es in jeder Kommune eines eigenen Verständnisses darüber, was Orte für junge Menschen genau sein können: Platznot und fehlenden Orten kann auch entgegengewirkt werden, wenn in einer Kommune die Akzeptanz dafür wächst, jungen Menschen die Plätze oder die Räume zu geben, die sie gerne auch unabhängig von Jugendhäusern nutzen wollen.
Was auf Landesebene getan werden kann
Zurück nach Dresden, in die Landeshauptstadt. Kommunen dürfen mit den Schwierigkeiten und Notwendigkeiten, jugendgerecht zu planen und zu gestalten, nicht alleine gelassen werden. Die Situation der Fachkräftelandschaft, der Ausgestaltung und der Attraktivität eines ganzen Handlungsfeldes als potentieller Arbeitsplatz bedarf insbesondere einer politischen Steuerung auf Landesebene. Gleiches gilt für die inhaltliche Ausrichtung von Gemeindeordnungen durch Vorgaben auf Landesebene, welche aus rechtlichen Freiwilligkeitsformulierungen rechtliche Verbindlichkeiten benennt. Insbesondere auf der Bundeslandebene wird die Wirkmächtigkeit einer tatsächlich umgesetzten Eigenständigen Jugendpolitik und eines angewandten Jugendchecks deutlich. Denn Landespolitik muss sowohl regional steuern als auch Vorbild sein. Sind Bestrebungen zur Umsetzung einer Eigenständigen Jugendpolitik oder die Einrichtung eines „Pakts für die Jugend“ (Freistaat Sachsen) Worthülsen in Wahlkampfprogrammen und Koalitionsverträgen oder finden sich diese deutlich untersetzt mit prägnanten Vorhaben wieder? Ein Pakt, der sich nur auf eine Erhöhung der Mittel für die offene Jugendarbeit und eine Ausweitung der Gültigkeit der Dauer von Fördermittelbescheiden ausschließlich auf der überörtlichen Ebene gründet, ist ein „dünner“ Pakt. Er bildet somit eine Realpolitik ab, die weder Kommunen nachhaltig motiviert oder anhält, jugendpolitisch entsprechend dem Kenntnisstand wissenschaftlicher Untersuchungen und den Expertisen diverser Berichte wie auch Positionspapieren der Trägerlandschaft selbst aktiv zu sein. Allerdings, wie eingangs exemplarisch aufgezeigt: Das Wissen um Änderungsnotwendigkeiten ist zumeist jedoch bewusst.
Zu wenig Geld und zu wenig strukturelle Ausrichtung einer Eigenständigen Jugendpolitik bedeutet auch, Jugendpolitik und damit junge Menschen mit zu wenig Priorität verortet zu haben. Dies ist auf zwei Ebenen problematisch: Junge Menschen sind die Zukunft einer Gesellschaft, Schwierigkeiten im Aufwachsen und fehlende Verortung in der Gesellschaft bergen auch ähnliche Herausforderungen in deren Erwachsenenlebensphase. Junge Menschen sollten das Fehlen von Angeboten und Möglichkeiten nicht dauerhaft als Teil ihres Alltags erfahren. Spätestens mit dem Beginn der Eigenständigkeit im Erwachsenenalter zeigt es sich, inwiefern sie die Heimatregion als attraktiv für ihre eigene persönliche Zukunft einordnen: Sie verorten sich und ihr Leben neu.
Christian Kurzke ist Studienleiter bei der Evangelischen Akademie Sachsen und Mitglied der AG Eigenständige Jugendpolitik Sachsen.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Jahrbuch 2022 der Evangelischen Trägergruppe für politische Jugendbildung und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Trägergruppe veröffentlicht.
Literaturverzeichnis:
[1] Andresen, Sabine et al. (2020): Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo. Die JuCo- und KiCo-Studien sind online verfügbar: https://www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-sozial-und-organisationspaedagogik/forschung/laufende-projekte/juco-und-kico/, Zugriff: 17.10.2022.
[2] Kurzke, Christian (2020): Kinder brauchen Freunde. Corona, wir und junge Menschen. Jugendpolitik darf auch in der Pandemie nicht nachrangig sein. In: Sächsische Zeitung, 28. April 2020, S. 7.
[3] Kurzke, Christian; Trumpold, Wencke (2020): Ein Pakt für die Jugend. Tagungsdokumentation zur Online-Veranstaltung. https://ea-sachsen.de/news/ein-pakt-fuer-die-jugend/, Zugriff: 5.9.2022.